
Gamaschen
Schutz oder Hitzefalle?
Der Einsatz von Gamaschen im Reitsport ist Standard, um die Pferdebeine vor äußeren Einwirkungen (Schlägen, Streifen) zu schützen. Doch die vermeintliche Schutzmaßnahme birgt ein kaum beachtetes Risiko, die Überhitzung der Sehnen und Bänder, die zu langfristigen Problemen führen kann.
Sehnen und Bänder mögen keine Sauna
Die Sehnen und Stützstrukturen des Pferdebeins, sind von Natur aus schlecht durchblutet. Das ist gut für ihre mechanische Festigkeit, aber schlecht für die Wärmeregulierung.
Dies betrifft insbesondere die oberflächliche und die tiefe Beugesehne sowie den Fesselträger.
Der Fesselträger ist besonders anfällig, da er eine reine Bandstruktur ist, die tief im Bein liegt. Er wird von anderen oberflächlichen Strukturen und der Haut isoliert. Die Möglichkeit der Wärmeabgabe an die Umgebungsluft ist stark eingeschränkt und wird durch das Anlegen von Gamaschen zusätzlich blockiert.
Während der Arbeit entsteht durch Reibung und Stoffwechsel im Gewebe Wärme. Herkömmliche Gamaschen wirken wie eine Isolationsschicht, die verhindert, dass diese Wärme entweicht.
Die Gefahr
Aktuelle Studien, die das Mikroklima unter dem Beinschutz untersucht haben, liefern beunruhigende Ergebnisse. Innerhalb weniger Minuten intensiver Arbeit (z.B. Galopp) können die Temperaturen unter dicken Gamaschen auf über 45°C ansteigen.
Ein Forscherteam um Dr. Brock und Kollegen (Middle Tennessee State University, vorgestellt u.a. am Equine Science Society Symposium 2021) konnte zeigen, dass bei allen getesteten Arten von Beinschutz Temperaturen erreicht wurden, welche die Zellen der Sehne negativ beeinflussen können. Die höchste Temperatur und Feuchtigkeit wurde typischerweise an Fleecebandagen gemessen.
Ab einer Gewebetemperatur von etwa 43°C bis 45°C beginnt sich die Struktur des Kollagens – des Hauptbestandteils der Sehnen und Bänder – zu verändern (Denaturierung). Die Kollagenfasern verlieren an Elastizität, die Fasern verkleben und die Sehne wird anfälliger für Mikrotraumata und Risse.
Dieser wiederholte thermische Stress kann die Qualität des Bindegewebes dauerhaft mindern und somit das Risiko für Sehnen-, Fesselträgerschäden und chronische Lahmheiten drastisch erhöhen.
Wann ist ein Schutz wirklich sinnvoll?
Der Beinschutz sollte ausschließlich dann eingesetzt werden, wenn das Risiko einer akuten Verletzung durch äußere Einwirkung das Risiko der thermischen Schädigung übersteigt.
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Im Dressur-Training und beim Ausreiten: Kein Schutz nötig: Bei gymnastizierender Dressurarbeit oder beim ausreiten auf befestigten Wegen, sind Gamaschen in der Regel unnötig. Wenn das Pferd aufgrund seiner Anatomie oder Bewegung dazu neigt, sich selbst zu streifen, muss die Ursache gesucht (Hufbearbeitung, Ausbildungsstand, Schiefe) und gezielt trainiert werden – an der Hand oder mit minimalem Gewicht. Der Schutz ist hier keine Dauerlösung, sondern kaschiert ein Trainingsproblem.
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Im Gelände, beim Springen: Schutz ist ratsam: Bei höheren Springprüfungen und im Gelände auf unebenem Boden ist das Risiko von Schlägen, Stößen oder Streifen so hoch, dass ein Schutz angebracht ist, da hier die akute Verletzungsgefahr dominiert. In diesen Fällen sollte zwingend auf atmungsaktive Materialien geachtet werden. Bevorzuge Gamaschen mit großflächigen Lüftungsschlitzen oder offene Modelle (Streichkappen), die eine maximale Wärmeabgabe ermöglichen. Unabhängig von der Art der Arbeit gilt: Entferne Gamaschen und Bandagen sofort nach der Belastung, um die restliche Stauwärme schnellstmöglich abzuführen. Kühle die Sehnen danach.
Während Gamaschen einen mechanischen Schutz bieten, musst du immer die Kosten-Nutzen-Analyse für die Sehnengesundheit berücksichtigen. Im Zweifel gilt: Lasse die Beine frei atmen, besonders bei leichter Arbeit, um die kritische Temperaturgrenze von 45°C nicht zu überschreiten.
