
Reithalfter
Vom praktischen Halfter zum mechanischen Werkzeug
Das moderne Reithalfter ist in der Kritik, doch sein Name verrät seinen ursprünglichen, tierschutzkonformen Zweck. Es war einst ein schlichtes Halfter, das man zum Reiten unter der Trense mitführte. Der Wandel von diesem nützlichen Begleiter zum fixierenden Zwangswerkzeug spiegelt die Entwicklung des Pferdes vom hoch trainierten Kampfinstrument zum schnell ausgebildeten Truppentransport wider.
Das Halfter zum Anbinden
Der historische Ursprung des Reithalfters liegt in der reinen Praxis und Notwendigkeit im Alltag von Reisenden, Händlern und Soldaten. Der Riemen am Pferdekopf diente dazu, das Pferd nach einer langen Reitstrecke schnell und unkompliziert anzubinden oder ihm Futter zu geben, ohne die Trense komplett abnehmen zu müssen. Das ursprüngliche Reithalfter war also ein praktisches Halfter, das so konstruiert war, dass es zum Reiten (unter dem Zaum) getragen werden konnte.
Kontrolle als Kompensation für fehlende Ausbildung
Der entscheidende Sprung vom praktischen Hilfsmittel zum Zwangswerkzeug fand durch die Veränderung der Kavallerie-Aufgaben statt, die eine drastische Reduzierung der Reitausbildungszeit zur Folge hatte:
1. Die Schwert-Ära
In dieser Ära war der Kavallerist eine Truppe im Nahkampf (Lanze, Speer, Schwert). Die Pferde (Schlachtrösser) mussten in einer langwierigen Ausbildung zu hochgradig reaktionsfähigen Kampfinstrumenten gemacht werden.
-
Die Pferde wurden auf Basis von Losgelassenheit und Versammlung trainiert, damit sie einhändig und nur mit feinsten Hilfen (Gewicht, Schenkel) zu kontrollieren waren. Nur so konnte der Reiter sich im Nahkampf voll auf die Schlacht konzentrieren.
-
Grobe Paraden in der Hitze des Gefechts hätten das Pferd gestoppt oder die Formation gesprengt. Die Pferde mussten auf die geringste Gewichtsverlagerung reagieren, um spontan drehen, beschleunigen oder anhalten zu können.
-
Aufgrund dieser intensiven Ausbildung, die die Durchlässigkeit und Losgelassenheit des Pferdes sicherstellte, war ein mechanisches Zwangsmittel zur Maulschließung nicht nötig. Das Pferd entzog sich dem Gebiss nicht, weil es korrekt ausgebildet war und im Genick nachgab.
2. Die Gewehr-Ära
Mit der Einführung von Feuerwaffen ab dem 17. Jahrhundert wurde die Kavallerie zur leichten Aufklärungs- und Schutztruppe.
-
Die Armeen wurden größer, und die Ausbildungszeit der Rekruten musste drastisch verkürzt werden. Pferde wurden primär zum Transportmittel degradiert.
-
Da weder Reiter noch Pferd die Zeit für die jahrelange Ausbildung zum durchlässigen Pferd hatten, fehlte die feine Kontrolle. Ein weniger gut ausgebildetes Pferd entzieht sich bei Paraden durch Maulaufsperren und Verwerfen dem Gebiss.
-
Um diese Kontroll-Lücke durch fehlende Ausbildung zu schließen, wurden die mechanischen Hilfsmittel perfektioniert. Das Hannoversche und später das Kombinierte Reithalfter wurden eingeführt, um das Maul mechanisch geschlossen zu halten und das Pferd so zu zwingen, dem Zug des Zügels mit einer (scheinbaren) Nachgiebigkeit im Genick zu begegnen. Es war ein "Abkürzungswerkzeug".
Tierschutzrelevante Kritikpunkte
Heute dient das Reithalfter fast ausschließlich der Kompensation von Ausbildungsfehlern.
-
Alle Reithalfter wirken über zwei extrem sensible Haupt-Druckpunkte: den empfindlichen Nasenrücken (Nasenbein) und die Kieferäste.
-
Das Kauen und die Zungenbewegung sind essenziell für die Losgelassenheit des Pferdes, ein eng verschnalltes Reithalfter verhindert dies. Wenn das Pferd nicht ungehindert kauen kann, gerät es in einen Zustand der Anspannung, der sich negativ auf den gesamten Körper überträgt.
-
Obwohl Studien eindeutig belegen, dass eng verschnallte Halfter Schmerz und Stress verursachen, dulden große Verbände FN/FEI nach wie vor zu enge Verschnallungen. Insbesondere die Forschung von Murray und Dyson (2018) hat durch Druckmessungen an Nasen- und Sperrriemen gezeigt, dass Reithalfter, die nach den Standards der Verbände verschnallt werden, bereits hohen Druck auf die sensiblen Strukturen ausüben. Verbände fordern teils nur, dass ein bis zwei Finger unter den Kieferästen (oder am Jochbein) Platz haben. Dies ist nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen viel zu eng, da es die Muskulatur und die Nerven im Unterkieferbereich quetscht und das notwendige Kauen unterbindet. Die tierschutzgerechte und physiologisch sinnvolle Weite wäre, wenn zwei aufgestellte MÄNNER-Finger bequem auf dem Nasenrücken Platz haben.
Der Verzicht auf jegliche Sperr- oder Korrekturhalfer ist die tierschutzgerechteste Lösung. Ein gut ausgebildetes Pferd benötigt keine mechanische Maulschließung.
